Zu Beginn des Anti-Stress-Kongresses der IG Metall am 23./24. April 2013 fordere ich gegenüber der Presse die Bundesarbeitsministerin auf, jetzt endlich die Konsequenz aus ihren Klagen über zuviel Stress in der Arbeitswelt zu ziehen und eine Anti-Stress-Verordnung zu erlassen. [PDF-Datei lesen] oder auf »weiterlesen« klicken.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir haben aus zwei Gründen zu unserem heutigen Anti-Stress- Kongress eingeladen:
Erstens weil überbordender Stress bei der Arbeit zu einem nicht länger zu akzeptierenden Problem der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts geworden ist.
Zweitens, weil gerade bei dieser Belastungsart mit der größten Dynamik die größte Schutzlücke für die Beschäftigten klafft.
Im Folgenden möchte ich diese Sicht der Dinge kurz erläutern:
Das Meinungsumfrageinstitut FORSA hat letzte Woche im Auftrag der IG Metall eine repräsentative Kurz-Befragung bei Erwerbstätigen durchgeführt.
Vom 16. bis 18. April wurden über 1.000 Erwerbstätige in Telefoninterviews befragt.
Die Hauptergebnisse lauten wie folgt:
- 28 Prozent der Beschäftigten beklagen, dass Stress am Arbeitsplatz etwa durch hohen Zeit- und Leistungsdruck sowie den Zwang zur ständigen Erreichbarkeit sie oft oder sogar immer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führt.
- 42 Prozent geben an, dass dies immerhin „hin und wieder“ der Fall sei.
- 88 Prozent der Beschäftigten fordern, dass die Unternehmen mehr für den Schutz vor zu hohem Leistungsdruck und gesundheitsschädigenden Arbeitstress tun
- Und 69 Prozent richten die gleiche Anforderung auch an die Politik.
Das sind, so unsere Auffassung, alarmierende Befunde, die bei den Verantwortlichen, insbesondere Arbeitgebern und Politik, einen angemessenen Widerhall finden sollten.
Alle Befunde unterstreichen: Jetzt ist aktives und vor allem präventives Handeln in den Betrieben gefragt.
Doch im Vergleich zur Dringlichkeit des Problems sind die rechtlichen Rahmenbedingungen mehr als unzulänglich.
Die bestehenden Regelungen des deutschen Arbeitsschutzes haben gravierende Mängel, sind zu abstrakt und unverbindlich.
Die im Arbeitsschutzgesetz seit 1996 gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung wird gerade mal in der Hälfte aller Betriebe realisiert.
Und wo sie durchgeführt wird, fehlt oft die Berücksichtigung der psycho-sozialen negativen Belastungen; nicht selten, weil die Unternehmen bestreiten, dass eine gesetzliche Pflicht dazu besteht.
Kurzum: Im Unterschied zu Gesundheitsrisiken durch Lärm oder Gefahrstoffe fehlen bei arbeitsbedingtem Stress verbindliche und vor allem praxistaugliche Vorgaben.
Das kann so nicht bleiben.
Das deutsche Arbeitsschutzrecht bedarf der Anpassung an den Wandel der betrieblichen Belastungen.
Es bedarf der „Modernisierung“ durch eine Anti-Stress- Verordnung!
Eine solche hat die IG Metall im letzten Sommer vorgelegt.
Sie schlägt vor, die nachweislich wichtigsten Gefährdungsfaktoren für die psychische Gesundheit sowie geeignete Gestaltungsmaßnahmen zur Reduzierung von Gesundheitsgefahren zu identifizieren und verbindliche Regeln für ihre Umsetzung festzulegen.
Die Zustimmung in der Fachöffentlichkeit zu unserem Entwurf ist groß, die Vorteile liegen auf der Hand:
- Mehr Rechtssicherheit für alle Akteure, also der Arbeitgeber, Betriebsräte, Fachkräfte und
- weniger Konflikte zwischen den Betriebsparteien über das„Ob“ oder „Wie“ einer Gefährdungsbeurteilung bei psychischer Belastung;
- und mehr konstruktiver Druck, um Zeitdruck, hohe Arbeitsintensität oder belastende Arbeitszeiten endlich systematisch in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.
Auch von den Oppositionsparteien im Bundestag erfahren wir breite Unterstützung.
Im Bundesrat werden mehrere Bundesländer Anfang Mai einen eigenen Verordnungsentwurf einbringen, der die gleiche Stoßrichtung wie unsere Initiative besitzt.
Der Arbeitsminister des Landes NRW Guntram Schneider wird hierzu auf unserem Kongress sprechen.
Dabei werden wir uns auch mit dem Einwand auseinandersetzen, Phänomene wie psychische Belastungen und Stress seien zu diffizil und komplex und versperrten sich rechtlicher Regulierungen.
Vor allem betriebliche Praktiker werden den Beweis antreten, dass die Inhalte einer möglichen Anti-Stress-Verordnung den Praxistest längst bestanden haben.
In dem ausgelegten Hintergrundmaterial mit dem Titel „Ist eine Anti-Stress-Verordnung praxistauglich?“ dokumentieren wir ausgewählte Beispiele aus unserem Organisationsbereich.
Die Praxisbeispiele belegen: Verfahren zur Ermittlung von Gefährdungen aus psychischer Belastung und konkrete Maßnahmen zur Prävention werden mitunter schon heute erfolgreich praktiziert.
Dabei ging in der Regel die Initiative von den Betriebsräten aus, obwohl der Normadressat der einschlägigen Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes der Arbeitgeber ist.
Diese sperrten sich oft und die Gefährdungsbeurteilungen mussten in Einigungsstellen- oder Gerichtsverfahren erstritten werden.
Wo dies gelang, konnten jedoch auch Erfolge erzielt und Belastungen deutlich reduziert werden:
Durch bessere Arbeitsorganisation und Personalbemessung, bessere Gestaltung der Arbeitsaufgaben, sachgerechte Qualifizierung, gesundheitsverträglichere Arbeitszeitmodelle und nicht zu- letzt kompetenteres Führungsverhalten.
Lassen Sie mich in aller Kürze drei Beispiele nennen:
- Beim Aufzugsunternehmen Otis in Mannheim wurden Leistungsverdichtung und Überforderung der Monteure identifiziert, weil ausscheidende Mitarbeiter nicht ersetzt
Nach der Gefährdungsbeurteilung wurden Neueinstellungen vereinbart, um eine gesundheitsgerechtere „Sollstärke“ zu erreichen.
Auch bei Alstom in Mannheim wurden nach Ermittlung einer gefährdenden Leistungsverdichtung die personellen Ressourcen erhöht.
- Bei Panasonic in Hamburg und bei der Sick AG konnte durch Gefährdungsbeurteilungen schlechtes Führungsverhalten als Stressfaktor ermittelt werden.
Qualifizierungsmaßnahmen für Vorgesetzte zum „gesundheitsgerechten Führen“ oder ein Gesamtkonzept zum betrieblichen Gesundheitsmanagement waren die Folgen.
- Und schließlich: Ebenfalls bei der Sick AG konnten Überlas- tungsprobleme bei der Projektarbeit ermittelt werden und durch eine Neujustierung der Arbeitsvolumina sowie der Projektlaufzei- ten verringert
Bei Panasonic resultierten besondere Belastungen aus der E- Mail-Flut, den häufigen Telefongesprächen und ständigen Ar- beitsunterbrechungen, die zur Aushandlung von „Verhaltensre- geln zum E-Mail-Verkehr/Telefonie“ führten.
Die positiven Beispiele sind bisher jedoch eher Ausnahmen und keinesfalls die Regel.
Vielfach fehlt es schlichtweg an Druck und praxistauglichen Vor- gaben.
Dies soll eine Anti-Stress-Verordnung ändern.
Sie greift die Beispiele guter Betriebspraxis auf und befördert ihre Verallgemeinerung.
Mit anderen Worten:
Was sich in der betrieblichen Praxis bewährt hat, soll durch ar- beitswissenschaftliche Erkenntnis ergänzt und zum gesundheits- politischen Benchmark werden.
Meine Damen und Herren, der Ball liegt nun im Feld der Bundesregierung.
Aber offenbar hat sich Frau Ministerin von der Leyen darin einge- richtet, die Rede für die Tat zunehmen.
An deklamatorische Verlautbarungen mangelt es nicht, an zielfüh- renden Handlungen sehr wohl.
Ich sage deshalb zu Beginn unseres Kongresses: Wir sind bereit, die Gespräche mit dem Verordnungsgeber, sprich dem Bundesarbeitsministerium fortzusetzen.
Aber ich sage auch: dies gilt nicht unbefristet!
Wir werden den Rückenwind der breiten Zustimmung aus Fach- welt, Politik und Betrieben nutzen, um verstärkt Druck für eine An- ti-Stress-Verordnung zu machen.
Und dies nicht zuletzt mit Blick auf den Bundestagswahlkampf. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.